Insekten fördern in Wiesen und Weiden

Mit einem Blick auf unsere Wiesen und Weiden versuchen wir einen Beitrag gegen das Insektensterben zu leisten. Welche Wiesenpflege fördert unsere Insekten? Welche Rolle spielen naturnahe Weiden?
Gomadingen / Von Ralf Ott 26.02.2019

Es war die „Krefelder Studie“ und die damit verbundene Aufmerksamkeit in den Medien, die das Thema „Insektensterben“ ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt hat. Doch die Fakten über den Rückgang der Menge und der Artenvielfalt bei Insekten belegen auch andere Studien. Zwei befassen sich mit der Situation im Raum Stuttgart, und in diesen Tagen werde eine neue Untersuchung erscheinen, die Resultate aus 75 Einzeluntersuchungen zusammenfasst, sagte Dr. Philipp Unterweger am Samstagabend in seinem Vortrag bei der Hauptversammlung des NABU in Gomadingen.

„Biologen und Naturliebhaber haben die Veränderungen natürlich schon sehr viel länger bemerkt“, so Unterweger, der Biologie, Germanistik und Kunstgeschichte in Tübingen studiert und dort das Projekt „Initiative Bunte Wiese“ auf den Weg gebracht hat. Den Anstoß gab der Beginn der UN-Dekade für biologische Vielfalt vor neun Jahren, berichtete er den Zuhörern. „Der Kerngedanke war einfach“, sagte Unterberger, „wir haben den Rasen in Frage gestellt“. Seither wurden im Stadtgebiet Tübingen insgesamt 43 Rasenflächen in „Wiesen“ umgewandelt. Ohne Aufwand, denn: Wer seinen Rasen wachsen lässt und nur noch zwei Mal im Jahr mäht und dann das Schnittgut abräumt, hat ihm zufolge bereits etwas für die Insektenwelt getan. Die Anzahl von Wanzen, Wildbienen, Heuschrecken und Tagfaltern fällt auf einer Wiese im Vergleich zum Rasen jeweils deutlich höher aus. „Wir waren überrascht, dass wir mit einer so einfachen Maßnahme so viel Erfolg hatten“, so Unterweger.

Erfolg, der mehrfach prämiert wurde: Das Projekt wurde beim Zwiefalter Naturfonds genauso ausgezeichnet wie in Tübingen durch die Volksbank sowie die Stadt und erhielt den Landesnaturschutz- und den Ehrenamtspreis. Im Unterschied zum Rasen nützt die Wiese also der Artenvielfalt, bringt ein Plus bei der Photosynthese und bindet mehr Feinstaub – ganz abgesehen davon, dass sie optisch schöner aussieht.

Doch bei der Umsetzung sind einige Hürden zu überwinden, wie Unterweger verdeutlichte. Die unterschiedlichen Akteure habe verschiedene Ansprüche, die vereinbar sein müssen. Und vor allem müssen in den Kommunen die Ansprechpartner gefunden werden, die offen für Veränderungen sind. Während der Tübinger OB sich nicht für das Thema interessiert habe, sei es gelungen, in der Stadtgärtnerei und beim Bauamt Mitstreiter zu finden.
Die Wiesen in den Sommermonaten bieten allerdings nur einen Teil der erforderlichen Bedingungen für die Förderung der Artenvielfalt: „Insektenschutz bedeutet auch Larvenhabitatschutz“, so Unterweger, „mithin geht es also um die Überwinterungsökologie“. Feldraine, Uferstreifen oder Böschungen müssten generell miteinbezogen werden. Von Mitte Februar bis in den Juni hinein schlüpfen Wanzen, Hautflügler, Käfer und Fliegen aus ihren Überwinterungsquartieren wie beispielsweise verdorrten Blütenköpfen oder hohlen Stengeln, die im Herbst nicht abgeräumt worden seien. „Das bedeutet aber, dass wir Flächen brauchen, auf denen bis Mitte Juni nichts passiert“. Letztlich sei ein „Mosaik“ der Idealfall: Eine zweifache Mahd auf blütenreichen Wiesen, dazu kommen Flächen mit später Mahd beziehungsweise ohne Herbstmahd für die Überwinterung. „Würden Straßen- und Wegränder richtig gepflegt, hätten wir überdies schon viel gewonnen“. Wer durch Einsaat etwas für die Insektenwelt tun wolle, solle in jedem Fall auf „autochthones Saatgut“ achten. Nur das sei an den Standort angepasst. „Rundblättrige Glockenblumen aus dem Rheinland oder aus Südschweden blühen zu unterschiedlichen Zeitpunkten“, so Unterweger, „die Wildbienen in der jeweiligen Region sind darauf aber eingestellt und gehen gegebenenfalls leer aus“.

Unterweger räumte auch gleich mit dem Glauben auf, für den Erhalt der Tiere auf dem früheren Truppenübungsplatz sei eine Befahrung mit Panzern erforderlich. „Auch durch die Bewirtschaftung mit schweren Weidetieren entstehen temporäre Gewässer“. Letztlich sei zu fragen, wieweit wir zurück wollten. Unterweger zeigte einen Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1932, in dem das Verschwinden der Frösche von den Wiesen in der Mark Brandenburg nach dem Einsatz von Mähmaschinen beklagt wurde. Doch bei jenen „Maschinen“ handelte es sich um ein von Pferden gezogenes Mähwerk. Unterm Strich zeige das Beispiel, dass Wiesen eigentlich auch „nur eine Notlösung“ sind. Das Ideal aus Sicht des Artenreichtums sind Unterweger zufolge alte Weidelandschaften, wie sie heute beispielsweise noch in Rumänien zu finden sind. „Das beste ist eine extensive Beweidung durch Rinder ohne Zufütterung, dann gibt es auch wieder Leben auf den Kuhfladen“.

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