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„Jakob Bräckle gilt als Landschaftsmaler, aber wäre es nicht treffender ihn als Agrarmaler zu bezeichnen? Es gibt nahezu kein Bild, das nicht einen bearbeiteten Boden oder die Ergebnisse der Aussaat zeigt. Auf nahezu allen Bildern, auch auf denen vom Dorf, ist die bäuerliche Arbeit unübersehbar.“ Uwe Degreif, Kurator der aktuellen Bräckle-Ausstellung im Museum Biberach, zeigt den langen Weg, den der in Winterreute bei Biberach geborene Maler gegangen ist. Mit 90 Jahren starb der „Agrarmaler“ 1987 in Biberach. Bräckle war Oberschwabe und blieb Oberschwabe. Er malte am Anfang oberschwäbische Landschaft mit Bauern und malte am Ende eine Landschaft ohne Bauern. er malte das Verschwinden der Bauern aus der Landschaft. Das begann nach dem zweiten großen Krieg.
Wolf-Dietmar Unterweger ist ein Kriegskind. Er entkam als Baby der Vernichtung Dresdens mit viel Glück. Seine Mutter floh mit ihm nach Wain, einem Bauerndorf in der Nähe von Laupheim, wo er noch immer lebt. Der promovierte Chemiker tauschte schon bald das Reagenzglas gegen den Fotoapparat. Sein Lebensthema: die Bauern. Und ihr Verschwinden.
Jakob Bräckle war ein fleißiger Maler und Wolf-Dietmar Unterweger war ein fleißiger Fotograf. Bräckle ist seit über 30 Jahre tot, Unterwegers Bauern starben etwa zur gleichen Zeit. Zumindest die meisten und die, die noch etwas länger lebten, die ganz alten, die zeigt Unterweger als Zeugen für eine untergegangene Welt des bäuerlichen Lebens, wie es einst nicht nur Oberschwaben prägte. Das Dorf und alles drum rum gehörte den Bauern. Es waren viele und mehr und mehr zu viele. Dagegen half die Flurbereinigung, die die Kleinbauern in die Fabriken trieb und die Industrie auf die Felder. Hier endet Unterwegers Dokumentation. Damit will er nichts zu tun haben.
Als Maler dokumentiert Bräckle nicht, aber er weiß, was er sieht. Uwe Degreif: „es gelang Jakob Bräckle den Strukturwandel von der traditionellen kleinbäuerlichen Landwirtschaft hin zu einer mechanisierten und zu einer agrarindustriellen Erzeugung mit einer zeitgemäßen künstlerischen Darstellungsform zu verbinden. Seine Bilder der 1930er und 40er Jahre sagen uns: ‚so war es‘, seine späten Bildern sagen: ‚so ist es‘. Sie zeigen mehr als 30 Jahre nach seinem Tod noch immer die Gegenwart heutiger Felder.“
Und die findet der Fotograf Unterweger ganz furchtbar. damit ist er nicht allein. Sein Sohn Philipp ist promovierter Biologe und springt mit seinem Wissen über den Verlust der biologischen Vielfalt, Diversität genannt, der väterlichen Anklage bei. Gemeinsam haben sie ein Buch geschrieben: „echte Bauern retten die Welt!“ Von Hause aus sind beide Autoren Naturwissenschaftler – es zählt nur, was gezählt werden kann –, aber argumentieren mit dem Herzen. Dem Tod in den Agrarwüsten wollen sie mit kleinbäuerlichem Handwerk den Garaus machen.
Das Verschwinden der Bauernkultur und mit ihr die Vielfalt wollen sie rückgängig machen. Der „echte Bauer“ kann wieder mit einem Pferdegespann umgehen und weiß vom Nutzen der Beikräuter, wohingegen der Landwirt auf seinem GPS-gesteuerten Monstertraktor völlig die ökologische Orientierung verloren hat. Der 32-Jährige appelliert deshalb, „sich an einer zukunftsfähigen Bauernkultur mit Mut, Idealismus und Herzblut zu beteiligen und die Welt friedlich, menschenfreundlich, ökologisch und mit respekt vor der Umwelt zu gestalten“.
Hehrere Worte, die Hermann Weber gefallen dürften. Der Kunstprofessor ist Bauernsohn, geboren in Mettenberg bei Biberach. Sein Bruder Josef ist Biobauer, grüner Stadt- und Kreisrat. Die Brüder sind mit Jakob Bräckle aufgewachsen. „das Hoitza-Bild hing über dem Küchentisch unter der Uhr“, erinnert sich der 58-Jährige. Bräckle habe es gegen Brotgetreide „in Zeiten der Not“ eingetauscht. Anders als Bräckle ist der Bauernsohn weggegangen und wegen Bräckle irgendwie auch wieder zurückgekommen. Es waren Bräckles Bilder, die „mein Sehen und Schauen von Landschaft und Natur stark mitgeprägt hatten“, und die ihn im letzten Jahr inspirierten, sich als Künstler gegen das geplante interkommunale Gewerbegebiet im Risstal, seiner Heimat, zu engagieren. Manifestiert hat sich sein Protest gegen die Zersiedlung und Zerstörung von 45 Hektar Wiesen und Felder in einer Anklageschrift „anthropozän. Das große Sterben“. Zur Darstellung der besinnungslosen Naturzerstörung und des Artensterbens bedient sich Hermann Weber Motiven von Jakob Bräckle und konfrontiert dessen Kunst mit den verheerenden Folgen moderner Zivilisation, also mit dem, was Bräckle in den letzten 30 Jahren zwar sah, aber nicht malte. aber irgendwie doch: Bräckle habemit seinen leblosen Landschaften, monochrome Farbflächen, „das Verschwinden gemalt“, meint der Kunstprofessor.
Aber das Verschwinden kann man nur sehen, wenn man weiß, was war. Daran erinnert Wolf-Dietmar Unterweger mit seiner Fotografie, die über verschwundenes Bauernleben Auskunft gibt. Nicht seine melancholischen Fotos romantisieren das entbehrungsreiche Leben, sondern seine Erinnerung daran. Aber so wenig Vater und Sohn sich mit dem Verschwinden abfinden wollen, so wenig will Hermann Weber sich mit dem Verschwinden eines weiteren Stücks Heimat abfinden. Allen drei geht es um die Zukunft. Und dafür muss man wissen, sonst sieht man nicht.
(c) Dr. Roland Reck, Blix