Larven und Käfer müssen nicht jedem behagen, für funktionierende Ökosysteme sind sie aber unerlässlich. Wie man Insekten angesichts des Artenrückgangs schützen kann, zeigte ein Vortrag .
„Ich bin überwältigt, dass so viele gekommen sind“, begrüßt Peter Faber, Gärtnermeister der Lehr- und Versuchsgärten der HfWU, die rund 160 Anwesenden. Sowohl Studierende als auch Besucherinnen und Besucher, etwa von den Naturschutzbund-Gruppen (Nabu) der Region, kamen an die HfWU, um sich den Vortrag von Philipp Unterweger anzuhören. Aufgrund des großen Interesses musste die Veranstaltung in einen größeren Raum verlegt werden. Der Vortrag trug den Titel „Die Initiative ‚Bunte Wiese‘ – Biodiversität, Akzeptanz und Ästhetik auf naturnahen Grünflächen im Siedlungsraum – ein Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung“.
Das große Interesse ließ sich vor allem auf das brandaktuelle Thema zurückführen: Das Insektensterben ist derzeit in aller Munde und beschäftigt längst nicht mehr nur Spezialisten. In den vergangenen 30 Jahren ist die Masse der fliegenden Insekten um 75 Prozent zurückgegangen. Das schadet nicht nur den betroffenen Arten, es bringt ganze Ökosysteme ins Wanken. „Es geht weit darüber hinaus, ob der Apfel bestäubt wird“, berichtete Unterweger engagiert. „Es geht um Wasser- und Luftreinheit. Selbst kulturell hat das Auswirkungen.“ Würde der Seeadler etwa an den Folgen aussterben, hätte die USA kein Wappentier mehr. „Wenn Sie auf die weiteren Konsequenzen aufmerksam machen, erreichen Sie auch Menschen, die Sie mit sterbenden Schmetterlingen nicht erreichen.“
Unterweger arbeitet an der Universität Tübingen. Dort ist der Biologe derzeit dabei, seine Doktorarbeit fertigzustellen. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Initiative „Bunte Wiese“, ein Projekt, indem sich seit sieben Jahren Forschung, Lehre, Engagement und Öffentlichkeitsarbeit vereinen. Konkret geht es um 15 Hektar auf 41 Flächen in Tübingen, die durch weniger Mähen und Pflege als wilde Wiesen belassen werden. Saat braucht es der Erfahrung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach nicht. Je nach Boden suchen sich die heimischen Gewächse mit den Jahren ihren Weg – seien es Gräser, Disteln oder Mohnblumen. Auf diese Weise konnte Unterweger mit seinen Kolleginnen und Kollegen nachweislich dem Insektensterben entgegenwirken. Konkret heißt das: Nur zweimal im Jahr Mähen führt zu höherer Artenvielfalt und mehr Biomasse und damit zum Erhalt von Ökosystemen. Und dabei gehe es nicht nur um bedrohte Arten, betont Unterweger: „Auch die Allerweltsarten sind betroffen. Hier drin habe ich heute noch keine Stubenfliege gesehen.“
Die Resonanz auf die Initiative „Bunte Wiese“ ist seit deren Beginn geteilt. Auf der einen Seite regnet es Lob und Preise, wie etwa den Ehrenamtspreis Baden-Württemberg. Doch auch mit Spot, Kritik, ja sogar mit Drohbriefen mussten die Engagierten umgehen. Davon ließen sich die Tübinger aber nicht einschüchtern und übergaben zahlreiche böse Briefe kurzerhand an ihre Kolleginnen und Kollegen in der Sozialwissenschaft. Als Ergebnis von deren Forschung bekam die Initiative eine Liste an rationalen und emotionalen Gegenargumenten und Sorgen bezüglich der „Bunten Wiese“, die die Verantwortlichen in ihre Planung mit einbeziehen konnten. Da ging es zum Teil um Aufklärungsarbeit. So musste etwa Bankangestellten die Angst genommen werden, die Blumenwiese vor der Tür könnte Ratten ins Kreditinstitut locken. Zum anderen konnte man ästhetisch eingreifen. Beginnt der ungemähte Teil etwa nicht direkt am Weg, sondern erst einen Meter weiter, entsteht ein sogenannter Akzeptanzstreifen in kurz geschnittener Rasenform. Unterweger erklärt: „Es ist wichtig, dass der Schwabe sieht, dass es einen Plan gibt. Der Gärtner ist nicht einfach zu faul zum Mähen.“ Zur besseren Akzeptanz seien zudem von Beginn an nur Flächen verwendet worden, die bislang nicht als Liegeplatz, Spielwiese oder anderweitig stark genutzt wurden. Zum Abschluss rät Unterweger noch in die Fläche zu gehen, damit etwas erreicht werden kann. „Lassen Sie das Gras wachsen.“
Mit Dringlichkeit, Sachlichkeit und dennoch viel Humor brachte Unterweger seine Zuhörerinnen und Zuhörer in der HfWU zum Nachdenken und Diskutieren. Der Vortrag fand an der Fakultät Landschaftsarchitektur, Umwelt und Stadtplanung (FLUS) statt – also nicht nur vor Biologen. Eine Kooperation, wie es sie zwischen der „Bunten Wiese“ und anderen Standorten in Deutschland bereits gibt, könnte interessant sein, findet Gärtnermeister Faber. Er hatte Unterweger eingeladen. „In den Lehr- und Versuchsgärten der HfWU tun wir bereits viel für den Insektenschutz. Eine engere Zusammenarbeit mit der Initiative ‚Bunte Wiese‘ würde weiter in die richtige Richtung gehen.“
Laura Schlegel, 29.11.2017
Laura Schlegel, HfWU Nürtingen