Sindelfingen blüht nun im dritten Jahr

Bei einem Besuch im Mai 2021 war ich völlig begeistert von der Umsetzung in der Fläche. Viele der ehemaligen Langeweilerasen zeigten sich durch das Ausbleiben der Mahd in einem natürlichen Anblick.
Seit 2018 werden in Sindelfingen (Baden-Württemberg) einige Flächen nach meinem Biodiversitätskonzept gepflegt. Dort wird das von mir entwickelte Stufenmodell zur Biodiversitätsförderung in Kommunen angewendet. Während bei den meisten Flächen durch die Reduktion der Mahd die biologische Vielfalt ohne zusätzliche Eingriffe gesteigert wird, wird auf anderen Flächen zusätzlich botanisch angereichert. Sinneswandel statt Samenhandel ist ein langsamer, aber wirkungsvoller Ansatz.

Bei einem Besuch im Mai 2021 war ich völlig begeistert von der Umsetzung in der Fläche. Viele der ehemaligen Langeweilerasen zeigten sich durch das Ausbleiben der Mahd in einem natürlichen Anblick. Die Biodiversität in diesen Bereichen wurde kostenneutral gesteigert. Der 14-Punkte-Plan zur integrativen Biodiversitätsförderung für Kommunen zeigt hier seine ganzheitliche Wirkung. Die Beratung enthielt unter anderem eine Bauhofschulung und eine Fuhrparkoptimierung, so dass den veränderten Anforderungen Rechnung getragen werden konnte.

Inmitten eines großen Wohngebietes mit unterschiedlichen Wohnformen wurde in diesem Park auf großen Flächen auf die frühe Mahd verzichtet. Diese Mahdreduzierung führt zu einem wild romantischen neuen Anblick.

Die ökologischen Erfolge waren ebenfalls sofort sichtbar. Bei der Begehung wurde ich von einer Mitarbeiterin des LEV Böblingen begleitet, die einige Langhornbienen entdeckte. Die Förderung der Biodiversität klappte hier also durch den mutigen Schritt des „Stehenlassens“.

Genaues Hinsehen ist nötig. Wo manche Menschen nur innerstädtischen Löwenzahn sehen, entdecken Kenner den Wert für die Wildbienen (im Bild eine Langhornbiene).

Die Übergangsbereiche Rasen – neue Wiese – Anreicherungssaummischung sind deutlich zu erkennen.

Das Reduzieren der Mahd ist ein zentraler Schritt im Kampf gegen das Insektensterben:

Dass die Reduzierung der Mahd bereits einen enormen Beitrag gegen das Insektensterben leistet, konnten wir in den wissenschaftlichen Arbeiten, die wir seit 2010 im Rahmen der „Initiaitve Bunte Wiese“ durchgeführt haben, zeigen. In diesen Arbeiten wurde der Wert extensiv gepflegter Wiesen gegenüber intensiv gepflegter Rasen im Hinblick auf die Insektenvielfalt verglichen.

Die Käfer wurden von Ade et al. (2012) untersucht. Wastian et al. (2016) untersuchte die Wildbienenfauna und konnte 66 Wildbienenarten (470 Individuen) nachweisen. Kricke et al. (2014) untersuchte die Tagfalter auf den Versuchsflächen der Initiative. Hiller und Betz (2014) untersuchten die Auswirkung der Mahdhäufigkeit auf die Heuschrecken und konnten dabei 15 verschiedene Arten aus vier Familien bestimmen. Außerdem fand Unterweger et al. (2017b) auf acht Modellwiesen in Tübingen 335 Wanzenindividuen aus 12 Familien und 49 Arten und konnte den positiven Einfluss der extensiven Mahd auch für diese Gruppe bestätigen.

Alle Ergebnisse zeigen deutlich quantitative Unterschiede der Fänge zwischen den Flächenpaaren (Rasen versus Wiese). Betrachtet man die Rasenflächen, so sind hier nur sehr geringe Fangzahlen zu verzeichnen. Diese Befunde belegen, dass häufiges Mähen zu einem starken Rückgang der Insekten auf den Flächen führt. Die Zahl seltener Arten ist auf den untersuchten Wiesenflächen der Stadt Tübingen höher als auf den Rasenflächen. Rote Liste Arten traten ausschließlich auf Wiesenflächen auf.

Dieses Ergebnis zeigt, dass die Etablierung eines extensiven Mahdregimes zu einer signifikanten Steigerung der Artenvielfalt im Vergleich zu Rasenflächen führt.

Diese Abbildung demonstriert den Unterschied zwischen Rasen und Wiesen hinsichtlich der Artenzusammensetzung. Bei den Wanzen und Heuschrecken zeigte sich, dass Rasen durch das weitgehende Fehlen dieser Tiere charakterisiert werden. Es ist daher wichtig auch an die gras- und samenfressenden Insekten zu denken und sich nicht nur auf die Blütenbesucher zu konzentrieren.

Schön zu sehen sind in Sindelfingen auch die Anreicherungsmethoden im Bestand. Hier werden Saum-Wiesen-Mischungen in bestehende Grünflächen eingebracht. Diese reichern, bei richtiger Pflege, die umgebenden Grünflächen an. Nach dem Zurückgehen der Saumarten haben sich die beigemischten Wiesenarten etabliert und bereichern mehrjährig, ja sogar dauerhaft den Standort. Es geht demnach nicht um das regelmäßige Ansäen, sondern um den dauerhaften Prozess der Umstellung und Anreicherung. Biodiversität muss auch möglich sein und bleiben, wenn Blühstreifenprogramme und Samentütchen nicht mehr subventioniert werden.

Das einschneidende Erlebnis im Leben eines Insektes ist der Winter. Die Überwinterungslebensräume sind daher essentiell für ein Fortbestehen der Insektenpopulationen. Lesen Sie hierzu: https://biorisk.pensoft.net/article/22316/

Die Überwinterungsbestände (rechts im Bild) werden auch im Frühjahr noch nicht entfernt, damit die darin überwinternden Tiere im Frühsommer schlüpfen können.

Die Mahd orientiert sich an dem Mahdregime nach Unterweger 2018, welches verschiedene Ansprüche des Lebensraums Wiese berücksichtigt.

Zur Reduzierung des Nährstoffhaushalts ist eine zweimalige Mahd für viele Blütenpflanzen unverzichtbar. Diese zweifache Mahd orientiert sich an der klassischen Heuwirtschaft und sorgt mit zwei Schnittperioden (A: Ende Mai – Ende Juli sowie B: Anfang August – Ende Oktober) für Blütenvielfalt. Die Herbstmahd (B: Anfang August – Ende Oktober) ermöglicht es „Spätsommerinsekten“ den Lebenszyklus durch die verschiedenen Larvenstadien hindurch ungestört zu absolvieren. Die späte Mahd erlaubt es den nun mobilen, erwachsenen Tieren zu flüchten. Die Sommermahd (A: Ende Mai – Ende Juli) entnimmt der Fläche lediglich im Sommer die Biomasse. Überwinternde Insekten sind zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschlüpft und können auf den anderen Flächen Schutz vor der Mahd finden. Die blauen Pfeile symbolisieren Migrationsbewegungen, mit denen mobile Insekten den Mähereignissen ausweichen können. Schnittperioden sollen das synchrone Mähen vermeiden. Die braune Bezugslinie zeigt, dass auch die Schnitthöhe variabel sein sollte, um Amphibien und größeren Insekten die Möglichkeit des Wegduckens zu ermöglichen und zugleich offene Stellen für Samen und erdabhängige Insekten zu schaffen.

Grasige Bestände helfen grasliebenden Arten, wie Wanzen, Heuschrecken und vielen Tag- und Nachtfaltern.

Inseln betonen das Potential der Fläche

Sitzbänke bekommen durch die Blütenpunkte eine erhöhte Aufenthaltsqualität. Waldbaden – oder Wiesenbaden ist für die psychosoziale Gesundheitsförderung von großer Bedeutung.

Der Eingangsbereich zur Stadthalle zeugt vom Verantwortungsbewusstsein einer Stadt: Biodiversitätsschutz wird so zur Aufgabe auf der Ganz-Tagesordnung.

Obstgehölze und natürliche Wiesen vermitteln ländliche Idylle auch in der Stadt. Erholung in der Natur darf nicht nur für Menschen möglich sein, die mit einem PrivatPKW das ländliche Umfeld erreichen können. Klimaschutz, Verkehrseffizienz und Gleichberechtigung (Klassismusprävention) erfordert eine Verfügbarkeit von Natur zur Erholung in der Nähe der Heimstätten.

Die Wiesenzusaaten in der Fläche zeigen erste Wirkung. Von diesen Hotspotbereichen aus, wird die gesamte Fläche – wo unbedingt nötig -biodivers bereichert.

Wie wir in verschienenen Studien zeigen konnten sind Überwinterungsbestände für die Insektenvielfalt essentiell. Die dadurch entstehende Optik bereichert die visuelle Vielfalt einer Stadt.
Philipp Unterweger

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