Über die Wertschätzung der Arbeit mit Zugtieren

Im folgenden Gastbeitrag denkt Philipp Unterweger darüber nach, warum die vielschichtigen positiven Wirkungen der Arbeit mit Zugtieren bisher zu wenig gewürdigt und im Sinne einer nachhaltigen Landn
(Seite 174-177)
http://www.vfd-bayern.de/…/jah…/item/1243-jahrbuch-2020.html

Dass das Arbeiten mit Zugtieren mehr als Folklore und Publikumsbelustigung ist, ist den Leserin- nen und Lesern dieses Jahrbuchs schon lange bewusst. Die Attraktivität dieser Arbeit zeigt sich bei all den vielfältigen Veranstaltungen, und das Bewusstsein für den Mehrwert steigt zunehmend auch bei den Zuschauern. Erscheint in Industrienationen die Nutzung von großen Traktoren als unverzichtbar, so ist global der Beitrag der Zugtiere für die Welternährung immens. Setzt man die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit in diesen Zusammenhang, so sehen wir die Stärken einer Landwirtschaft ohne Großmaschinen. Die gesellschaftliche und soziale Wertschätzung kleinbäuerlicher Strukturen fördert nachweislich das gute Zusammenleben, reduziert Fluchtursachen, fördert den Frieden und bekämpft messbar das Voranschreiten und die Folgen des Klimawandels und des weltweiten Artensterbens. Zwar findet die Arbeit mit Zugtieren zunehmend Erwähnung in den Berichten der Vereinten Nationen, der nationalen Klima- und Artenschutzstra- tegien und im Weltagrarbericht, dennoch fehlt bisher ein global anerkanntes Zertifizierungssystem, dass die Arbeit von Zugtieren aller Bauern in den Wert setzt, der ihr zusteht.

Neben den Pferden spielen natürlich auch noch andere Zugtiere eine wichtige Rolle in der De- ckung des Energiebedarfs. Ochsen, Kühe und Ziegen lieferten früher für kleinere Betriebe die nö- tige Arbeitserleichterung. Die historische Einteilung in Kuh-, Ochsen- und Rossbauern, die vielfach auch eine negative, gesellschaftliche Konnotation hatte und eine Hierarchie im gesellschaftlichen Gefüge darstellte, ist jedoch eine sinnvolle Einteilung, im Sinne einer realistischen Einschätzung der örtlichen Gegebenheiten und Angebote. Keines dieser anderen Zugtiere erreichte jedoch den multi- funktionellen Nutzen des Pferdes, da ihm auch immer die Symbolhaftigkeit und der Machtanspruch innewohnte und es, vor allem im dichten Siedlungsbereich und in den Städten, die wohl engste Beziehung zum Menschen einging.
Der Schritt zum Verbrennungsmotor war eine Veränderung für die Sinne. Gerüche und Geräusche veränderten sich. Auch die Straßen und Wege wurden härter und vordergründig sauberer. Die erste Phase des Wandels mag Erleichterungen mit sich gebracht haben. Die Schattenseiten dieses Wandels sehen wir heute. Vom Pferdeapfel zum Feinstaub, vom Stallgeruch zum Stickoxid.

Was aber blieb, ist die romantische Vorstellung des Pferdeeinsatzes. Dieser überdauerte in Sym- bolen, in der Sprache und im Handeln und zeugt davon, dass wohl mehr hinter dem Einsatz der Zugtiere steckte, als die bloße Arbeitsteilung. Der Mensch und das Zugtier als Biozönose, als Ge- meinschaft, die über den bloßen Zweck hinausgeht und Schönes schafft. Sie bildet Erinnerungen, die über Generationen hinweg tradiert werden, die Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken. Warum sonst fährt man heute mit dem Auto, das ja anscheinend alles erleichtert hat, zum Reiten?
Unsere Energiewende hin zu regenerativen Energien darf eines nicht vergessen: Die Anforderungen sind gleich geblieben. Das Ziehen und Befördern; der Begriff Traktor leitet sich daraus ab. Wenn Verbrennungsmotoren Schäden hervorrufen und wir neue Energieformen suchen und diese dann beispielsweise in den Seltenen Erden und der ungeklärten Bereitstellung von Elektrizität finden, dann müssen wir uns überlegen, ob ein essbarer Traktor nicht Teil der Lösung ist.

Der essbare Traktor: eine Zug- und Transporthilfe, die Wegränder pflegt und biologisch wertvoll hält, indem sie sich von den Pflanzen des Weges ernährt. Eine Hilfe, die zugleich Partner ist und Freude, Trost und Schönheit vermittelt. Die unserer Landschaft ein Bild zurückgibt, das in unse-
rer Kultur nach wie vor fest verankert ist. Eine Zughilfe, die sich ohne Fabrikgebäude und ohne Schmieröle selbst reproduziert und am Ende ihrer Lebenszeit als Nahrung dienen kann. Als Nahrung, die wir genießen können, in dem Wissen, dass sie würdevoll und gut behütet wurde.
Der essbare Traktor, sei es nun Pferd, Ochse, Rind oder Ziege ist ein großer Bestandteil der Lösung unserer Energiefrage. Wir brauchen keine seltenen Rohstoffe, keine technischen Energien, keine Satelliten, um Kartoffeln zu hacken. Wir brauchen kein Fracking, kein arktisches Öl und keine Atomkraft, um die Betriebsstoffe unserer Zugtiere zu mähen und das Heu, als idealen und gesunden Antrieb, in die Scheune zu transportieren. Heu, Stroh und die Pflanzen unserer Felder schließen den energetischen Kreislauf.

Mit Hilfe unserer Ingenieure optimieren wir die Anbaugeräte der Vergangenheit, entwickeln Neues und achten auf die Anforderungen unserer Zeit. Betriebsgesundheit für den Bauern und das Tier- wohl sind feste Bestandteile der Zugtierwirtschaft. Der Einsatz von Zugtieren ist nicht retrospektiv und erfordert keine Rückentwicklung oder Fortschrittsverweigerung. Die große Herausforderung unserer Zeit besteht darin, bestehendes Wissen zu verknüpfen und anzuwenden, und nicht wahllos neues Wissen zu generieren. Man darf nicht glauben, dass die Bedienung eines Computers und eines digitalen Stalls mehr Intellekt, Geschick und Wissen erfordert als das Trainieren und Pflegen eines Zugpferdes. Eine Überheblichkeit, die das Alte abtut, ist falsch. Ein Bauer, der seine Tiere kennt und der den Boden seiner Felder versteht, muss andere Gefühle haben als ein Landwirt, der die Düngetipps des Newsletters und der App befolgt. Aus der Vergangenheit zu lernen und das Wissen zeitgemäß anzuwenden, erfordert mehr Mut und Wissen, als Zukünftiges neu zu erfinden, ohne es zu erproben.

Der Einsatz von Zugtieren und die Weiterentwicklung alten Wissens ist eine kulturelle, ökologis
che und ökonomische Pflicht, die das menschliche Leben im Einklang mit Natur, Kultur und dem Miteinander ermöglicht. Nicht die vorausfliegende Drohne rettet das Niederwild, sondern der ver- ständige Bauer, der erdnah mit seinem Acker kommuniziert. Entschleunigung, die Feldverständnis und Gesundheit fördert.

Der gesellschaftliche Wandel von einer Handwerker- und Bauerngesellschaft hin zu einer Dien- stleistungsgesellschaft ist abgeschlossen. Die Digitalisierung in vielen Dienstleistungssektoren
wird in den kommenden Jahren viele Arbeitskräfte zum Beispiel im Banksektor und im Verkehr überflüssig machen. Das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens wird vielfach diskutiert. Was sollen diese Menschen machen, die keine Arbeit, aber Geld haben? Sollen sie konsumieren? Ihre Freizeit auf dem Sofa verbringen, krank werden? Sollen sie sich in virtuellen Realitäten den Tag vertreiben, im Fitnesscenter Kraft aufbauen, die sie nicht nutzen können? Wo sollen Unzufriedene ihren Frust abbauen? Wir glauben, dass eine handwerkliche Betätigung, die einen reich gedeckten Tisch zur Folge hat, ein wunderbarer Zeitvertreib ist. Ein Hobby, das satt macht. Das den Hunger nach Kalorien, nach Selbstachtung, Liebe, und nach Kommunikation stillt. Nicht überdimension- ierte Zugmaschinen und horizontfüllende Schläge machen die Menschen glücklich, sondern die erfüllbare und nicht überfordernde Größe eines kleinen, eigenen Feldes. Mit einer Kuh als Partner lassen sich auch kleine Felder bestellen. Kleinbauern, kleine Gärtnereien oder Familien, die einen Teil Subsistenzwirtschaft anstreben, sind für die Nutzung der Kuh prädestiniert.

Der unverhältnismäßige Einsatz von großen Maschinen führt zur Entfremdung von Landwirt und Konsument. Führt zu all den Problemen, die das Gespräch scheitern lassen und Argwohn schüren. Das Abgeben von Verantwortung an Lohnunternehmer führt dazu, dass sich kein Familienbetrieb mehr angesprochen fühlt, wenn es um die großen Traktoren und um die überproportion- ale Maschinen geht. Arbeitsteilung ist gut und wichtig, das Abwälzen von Verantwortung an einen anderen jedoch nicht.

Eine computer- und GPS-gestützte Feldbestellung ist das schweigende, schlechte Gewissen einer zu groß gewordenen Flächenstruktur. Nur noch der Computer weiß, dass ein trockenge- legtes Moor, ein verdohlter Bach oder eine umgebrochene Trockenwiese überfahren wird. Er passt die Pflege an Strukturen an, die hier Natur sein müssten. Automatisiertes Vergessen. Maschinenkosmetik. Was früher der Bauer wusste, wo er sensibel sein musste, wo er mit altem und aktivem Wissen lernte, das macht der Computer heute vergessen. Die automatisierte Dosierung vertuscht den Verlust und überarbeitet die Chance auf Änderung. Menschliche Differenzierung wird überprogrammiert und eine weitere Chance zurück zur Natur überlagert.
Zugtiere müssen daher in der Bauernwirtschaft der Zukunft wieder einen festen Platz haben. Niemand kann es sich leisten, dass Maschinen auf Äckern herumfahren, die voll gestopft sind mit raren Rohstoffen und große Mengen Treibstoffe verbrauchen. Spätestens in 150 Jahren, wenn die seltenen Erden aufgebraucht sind und das Erdöl knapp wird, werden wir merken, dass man Gras auch ohne Elektronik, Touchscreens und ohne 800 PS mähen kann. Es mangelt nicht an den Techniken, sondern an deren Umsetzung. Technik wird uns nicht retten. Diese Aussage ist nur eine Ausrede, da man so alles auf die Technologie schieben kann und diese viel Geld umsetzt.

Ackerbau und Grünlandbewirtschaftung gehen sparsamer, ökologischer, sozialer und generationen- gerechter. Der Einsatz von Zugtieren ist keine neue Erfindung. Ein Großteil der Weltbevölkerung ernährt sich immer noch dadurch, dass er einem Zugtier über den Acker hinterherläuft. Die Rückbesinnung auf diese Tradition wurde in den USA mit Studien untermauert, die zeigen, dass betriebsinterne Trans- porte und Arbeiten viel effizienter, ökologischer und kostengünstiger mit Zugtieren erledigt werden.

Die Geschichte des Menschen zeigt, dass die 4000 Jahre, die unsere Kultur geschaffen haben,
nur mit Hilfe der Zugtiere erfolgreich absolviert wurde. Zugtiere schufen unsere Kultur. Sie prägten unsere Vergangenheit – und sie werden auch unsere Zukunft entscheidend mitgestalten.

Das erste weltweite Gütezeichen um die Wertschätzung und Sichtbarkeit für die Arbeit mit Zugtieren zu erhöhen

Die Arbeit mit Zugtieren braucht eine verstärkte und globale Kommunikation.
Diese Kommunikation muss den Mehrwert eindeutig definieren und die positiven
gesellschaftlichen und ökologischen Erfolge dieser Arbeit für die Bauern in Wert setzen.
Das Label sieht sich als Förderer der Arbeit mit Zugtieren, die das finanzielle Überleben der Bauern mit Zugtierarbeit sichern soll und zugleich in die Ausbildung und Vermehrung der nächsten Gener- ationen setzt.

Der Standard für die Arbeit mit Zugtieren wird global definiert und die Hemmschwelle bewusst niedrig gehalten. Dennoch ist das Ziel die Förderung von Tierwohl, Gesundheitsförderung der Bauern und regionaler Techniksouveränität.

Zugtiere sind ein fester Bestandteil der Welternährung und der regionalen Landwirtschaft. Dieses Label erkennt den Wert dieser Arbeit und setzt nachhaltige Akzente gegen eine weitere Industriali- sierung der Landwirtschaft und deren Folgen.

Die erste Biomarke, die den Mehrwert der Arbeit mit Zugtieren und den ganzheitlichen Ansatz auf Produktebene sichtbar macht

Die Listung von BIOLAND- und DEMETER-Produkten bei den großen Lebensmitteleinzelhändlern hat hochklassige Bio-Produkte in der breiten Bevölkerung gesellschaftsfähig gemacht und ist ein großer Erfolg. Jetzt ist es an der Zeit, mit einem neuen „Bio-Gedanken“ den Markt zu noch größerer Nachhaltigkeit und Wertschaffung zu transformieren.

LANDWERTSCHAFT setzt sich zum Ziel, Bauern zu vernetzen, die nicht nur Kalorien produzieren, sondern auch noch Kunst, Kultur, gesellschaftliches Engagement und Ökologie aktiv fördern. Der Einsatz von Zugtieren, aber auch die Verbindung von Lebensmittelproduktion und die Veran- kerung der Landwirtschaft in einer vielfältigen Kulturlandschaft und Gesellschaft, spielen bei der Erarbeitung eines ersten Vollsortiments, welches bleibende Werte schafft, eine wichtige Rolle.
Die Zielgruppe sind Kleinbauern und inhabergeführte Bioläden sowie die steigende Anzahl der bewusst Genießenden.
Zur Umsetzung dieser Ziele und zur Etablierung der beiden Ideen suchen wir Partner, Motivierte, Idealisten, Praktiker, Theoretiker und Produkte.

Kontakt:

Dr. Philipp Unterweger
hello(add)landwertschaft.org

Dr. Philipp Unterweger
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