Herr Dr. Unterweger, Sie kritisieren nicht nur die Totaltechnisierung in der Landwirtschaft, sondern auch den Umstand, dass Bauern heutzutage nur noch als Agrarmanager am PC agieren. Ein Zurück in frühere Zeiten scheint trotz allem eher unrealistisch zu sein?
Dr. Philipp Unterweger: Wir wollen nicht zurück, sondern lernen aus den Fehlern und Chancen der Vergangenheit um bei der Weiterentwicklung eine menschenfreundliche Zukunft im Auge zu behalten. Viele der modernen Techniken, vor allem große Teile der Digitalisierung und die riesigen Maschinen führen zu einer Entfremdung und Anonymisierung – die Distanz wird so groß, dass man nicht mehr auf Augenhöhe miteinander die Zukunft gestaltet, sondern jeder seinen digital generierten Zielen nachrennt. Die rein technische Verbindung zu Mitmenschen und zu unserer natürlichen Umwelt führt zum Verlust des direkten Kontakts und schafft Missverständnisse und Spannungen, wie wir sie exemplarisch heute zwischen Konsumenten und Landwirten haben und das ohne es zu wollen. Technik und Digitalisierung sind nützliche Werkzeuge, die man mit Bedacht und verhältnismäßig einsetzen soll und muss – viele sehen Technik und Digitalisierung als Allheilmittel und Mittel zum Zweck, das ist falsch. Die Technik wird uns nicht retten Mensch zu sein.
Beim Durchblättern Ihres großformatigen Buches darf der Leser eintauchen in eine Bauernwelt, die es längst nicht mehr gibt, die bei aller Farbenpracht und Authentizität unter anderem Menschen zeigt, die vermutlich niemals einen freien Tag erleben durften. Und doch eine Zufriedenheit ausstrahlen. Welche Botschaften möchten Sie mit dieser Fülle an schönen Fotos weitertragen?
Dr. Philipp Unterweger: Wir möchten zum Lesen und Genießen der Bilder animieren. Wir möchten zeigen, wo die Vögel und Insekten leben, die wir heute vermissen. Wir zeigen Menschen und Landschaften aus ganz Europa, es sind die Landschaften, die wir als Sehnsuchtsorte erwandern und bereisen. Es ist erstaunlich, wie wenig den Menschen daran liegt eine liebevolle Landschaft vor der eigenen Haustüre zu gestalten. Die Transformation dieser Bilder in die Gegenwart gibt uns Frieden und Zufriedenheit. Moderne kleinbäuerliche Strukturen funktionieren auch mit Urlaub und Gesundheitsförderung.
Wo ist der Bauernstolz geblieben? lautet eine ihrer Fragen. Und sie fordern von der Politik, kleinbäuerliche Strukturen zu fördern anstatt landschafts- und umweltzerstörende Großbetriebe. Das wird wohl nur funktionieren, wenn die Verbraucher mitmachen und einen angemessenen und fairen Preis für Lebensmittel bezahlen….
Dr. Philipp Unterweger: Wir unterscheiden streng zwischen Landwirten und echten Bauern. Landwirt ist ein Beruf, echter Bauer eine Eigenschaft. Wir müssen uns überlegen, zu was unsere Landwirte von den Banken und der Industrie animiert und verführt werden. Die Angst vor der nächsten Ratenzahlung und der nächsten Investition führt dazu, dass wir unseren Stolz und die Würde verlieren und die Schuld im Kreis weitergeben. Von der Politik, zum Konsument, zum Naturschutz, zum Tierschutz… zum Landwirt. Den Investitionszwang und das Dauerwachstum stellt niemand in Frage.
Im Buch ist mehrfach von „Agrarromantik“ zu lesen. Und von einer „zukunftsfähigen Bauernkultur“. Was verstehen Sie konkret darunter?
Dr. Philipp Unterweger: Wir möchten zeigen, dass echte Bauern nicht nur Kalorien, sondern auch Kunst, Kultur und regionale Identität schaffen ohne kitschig zu sein. Nur ein schöner Bauernhof ist ein guter Bauernhof. In unserer Landschaft werden Viehhallen, Siloberge und Maschienenparkhäuer am Waldrand und hinter Zäunen versteckt. Ein schöner Bauernhof wird im Dorf ertragen, da wo seine Produkte ja auch konsumiert werden. Die Trachten- und Lederhosenromantik auf unseren Umzügen, den Hochglanzprospekten und in den Museen vernebelt das Unsagbare, was auf den Wiesen und Feldern unserer Region passiert. Die von uns gezeigten Bauern sind echt und authentisch und müssen sich nicht hinter grünen Kreuzen am Waldrand verstecken.
Bauern wurden in der Vergangenheit stetig aufgefordert, zu wachsen und zu investieren. Auch mit Blick auf die Öffnung des Weltmarktes. Sie fordern, dass Bauern keine „Getriebene des (Welt)-Marktes“ sein dürfen, was sie inzwischen längst geworden sind, sofern sie nicht schon ihre Höfe aufgegeben haben….
Dr. Philipp Unterweger: Echte Bauern sind alle Menschen. Wir unterscheiden streng zwischen Landwirten und echten Bauern. Sie sind ein echter Bauer, sobald sie eine Tomatenpflanze auf dem Balkon haben – oder Hühner im Garten. Wir echte Bauern haben die Macht den Markt zu beeinflussen und zu verändern, jedes eigene Huhn befreit ein Käfighuhn und jede eigene Tomate spart Wasser in Spanien und verhindert Fluchtursachen. Da das Land und die Flächen nicht mehr wachsen, werden alle Landwirte, die am „Wachsen oder Weichen“ festhalten, weichen müssen. Echte Bauern wird es weiterhin geben, die Hofneugründungen zeigen sogar, dass es mehr werden.
Laut einer Studie des Forums Ökologisch-Sozialer Marktwirtschaft (FÖS) könnte die Landwirtschaft durch eine Steuerreform samt Tierwohlabgabe umgekrempelt werden. Aber auch hier muss der Verbraucher mitziehen und bereit sein, die echten Kosten der Fleischerzeugung zu bezahlen. Wieviel Verantwortungsgefühl trauen Sie den Verbrauchern zu, die mit ihrer Einkaufsmacht vieles bewegen können?
Dr. Philipp Unterweger: Den größten Effekt hätte es, wenn in den Wohngebieten Saulgaus wieder mehr Hühner und Kaninchen gehalten würden und die Menschen den Markt regeln, indem sie Gemüse in den Gärten anbauen, anstelle neureich den Rasenroboter per APP zu dirigieren. Unsere Vorfahren waren Kuhbauern, Ziegenhalter oder Hasenzüchter – diese Selbsterkenntnis rettet den Planeten und schafft lebendige und lebenswerte Dörfer.