Philipp Unterweger berät Landwirte zur Förderung der Artenvielfalt. Der promovierte Biologe erklärt, warum Blühstreifen zu Unrecht das Gewissen beruhigen und warum sich Vögel von Bauern gut vermarkten lassen.
ein Interview von Katharina ENGLER, LANDWIRT Redakteurin
Der Landwirtschaft wird oft vorgeworfen, sie zerstöre die Artenvielfalt. Müssen Bio-Bauern sich angesprochen fühlen?
Dazu erzähle ich Ihnen eine Geschichte: Vor zwei Jahren habe ich nachts auf einem innerstädtischen Campingplatz in München Laubfrösche gehört. Als Biologe habe ich mich darüber sehr gefreut, weil die in Deutschland total selten sind. Anschließend bin ich für eine Nacht auf einen Bio-Bauernhof ins Alpenvorland gefahren. Da habe ich nichts gehört, keine Schwalbe, keinen Frosch. Stummer Frühling.
Woran lag das?
Rundherum war nur Intensivgrünland. Die Artenvielfalt stammt sowohl aus einer guten Naturlandschaft, als auch aus einer naturnahen Kulturlandschaft. Die Landwirte haben früher die Natur in der Kulturlandschaft unbewusst gefördert und Vielfalt geschaffen. Das ist aus verschiedenen Gründen verloren gegangen. Egal ob bio oder konventionell: Es fehlt das Verständnis für das, was wir mal hatten und das, was wir wieder brauchen.
„Die Antwort auf fast alles, was schiefläuft, ist einfach. Sie lautet: Weil wir es können.“
Was war früher anders? Was haben die Bauern besser gemacht?
Die Bevölkerung wächst und immer mehr Fläche wird versiegelt, Flüsse wurden begradigt. Seit 80 Jahren geht ́s extrem bergab. Ein Grund dafür ist die Intensivierung. Die Antwort auf fast alles, was schiefläuft, ist einfach. Sie lautet: Weil wir es können. Weil wir die Maschinen immer schneller, größer, leistungsfähiger bauen. Weil wir immer effizienter und fleißiger, ja unersättlicher werden. Das ist nicht mal etwas Bewusstes. Wir wollen ja nicht, dass die Vögel sterben. Vereinfacht gesagt ist ein großer Schlepper einfach cooler als ein kleiner. Und weil wir cool sein wollen, stirbt alles aus.
So einfach geht Insektenschutz – ganz ohne Ansaat. Mulchen würde diesen Anblick innerhalb weniger Jahre zerstören.
Eine provokante Aussage. Ein Landwirt muss aber von seinen Flächen leben und effizient wirtschaften.
Das stimmt. Aber: An Wegrändern, Rainen, Böschungen, Ufern, in den Hecken, in feuchten Mulden und Senken und auf dem Hofgelände muss man keinen Ertrag erzielen. Trotzdem schlägt man Hecken nieder, fährt ohne Rücksicht mit schweren Traktoren in Wegränder und Böschungen, mulcht jeden Quadratmeter Waldrand und Saum, entastet Bäume bis auf vier Meter, auch dort wo kein Auto fährt. Das hat nichts mit den Nöten der Bauern zu tun. Das ist einfach fehlende Sensibilität für eine schöne Landschaft, fehlender Respekt vor der Natur.
Tun Bio-Bauern nicht per se genug für die Artenvielfalt?
Ich denke, ein Bio-Getreidefeld sollte signifikant anders aussehen als ein konventionelles. Das tut es meist nicht. Bei tausenden Hektar großen Bio-Kartoffelfeldern in Mecklenburg- Vorpommern etwa kann ich keinen Unterschied zu konventionellen Äckern erkennen. Auf kleinen Feldern übrigens auch nicht.
Ein Abendspaziergang reicht, damit man erlauschen kann, ob eine Landschaft gesund ist, oder an einem kranken System leidet. Beim Betrachten von Bildern muss man sich immer fragen, was man hört – es reicht nicht zu sehen. Wachtel und Wachtelkönig sind gute Taktgeber für unterschiedliche gute Agrarlandschaften.
Vermissen Sie Unkraut auf Bio-Äckern – oder worum geht ́s?
Es geht um die Möblierung der Landschaft, die Landschaft muss funktionaler sein. Wer „Bio“ denkt, der muss begreifen, dass ein Hektar Land mehr produzieren muss als nur Ernteprodukte in Gebindegrößen. Das schafft man zum Beispiel mit Buffetäckern.
Die Nachbeweidung von Stoppelfeldern macht aus einem Getreidefeld einen Buffetacker: Getreide, Milchprodukte, Rindfleisch, Gänsebraten und Daunen. Die Düngung durch die Tiere rundet den rein stofflichen Mehrwert für den Bauern ab – dann kommen die ökosystemaren und intrinsischen Wertschöpfungsketten.
Was ist ein Buffetacker?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Land- wirt hat zwischen seinen Äckern ver- schiedene Hecken. Eine Hecke aus Wildsträuchern für die Vögel, eine He- cke mit Nutzobst wie Äpfel, Pflaumen und Beeren, eine Hecke mit Heilpflan- zen für seine Rinder. Außerdem arbei- tet er pfluglos, sät eine Mischung aus Getreide, Lein und Linsen in den gefrästen Acker. Mit der Ernte dieser Kulturen hat er einen Dreifachertrag. Nach der Ernte beweidet er diese Flächen mit seinen Rindern, weil unten schon wieder Gras aufgewachsen ist. Er hat auch einen mobilen Melkstand zum Melken auf der Weide. Die Summe der Produkte füllt ein ganzes Buffet – für den Menschen und für alle Organismen, die mit uns leben.
Die naturnahe Beweidung von Feuchtgebieten ermöglicht weidebrütenden Vogelarten das Überleben. Solche Flächen binden große Mengen CO2. Der Landwirt als Klimaschutzdienstleister und Hochwasserverhinderer.
Was hat der Bauer davon, außer viel Arbeit und Zeitaufwand?
Erstens hat er eine höhere finanzielle Sicherheit, weil seine hochwertigen Bio- Milchprodukte, die in dem Fall eine individuelle Geschichte haben, sehr gefragt sind. Zweitens konnte er die Nennleistung seiner Schlepper verringern, weil er nicht mehr pflügen muss. Auf seinen Flächen wird ganzjährig CO2 gebun- den und Wasser zurückgehalten, weil er immer Vegetation auf seinem Acker hat. Dieser Bauer liefert also nicht nur Lebensmittel, sondern auch ökosystemare Dienstleistungen. Das kann man als Geschichte auf ein Schild schreiben. Dann wollen die Konsumenten nur noch Wurst und Fleisch von diesem Hof.
„Wer „Bio“ denkt, der muss begreifen, dass ein Hektar Land mehr produzieren muss als nur Ernteprodukte in Gebindegrößen.“
Der Bauern kann also mit der Förderung der Artenvielfalt durchaus Geld verdienen?
Immer, denn jeder Hof kann etwas. Eine Landwirtin beweidet beispielsweise eine Auenlandschaft an der Elbe mit Auer- ochsen und Wildpferden, gegen gute Bezahlung durch eine Spezialstiftung für die Rettung des Storchs. Sie bietet dort Safaris an, mit dem Land Rover durch die Rinder- und Wildpferdeherden, überall laufen Störche und Kraniche herum. Sie sagt, sie produziere eigentlich Störche und als ‚Abfallprodukt‘ hochwertiges Fleisch. Dieses verkauft sie als Bock- und Bratwurst an Szenekneipen. Ich glaube, die Leute wollen solche Geschichten. Oder: Ist auf Ihrem Hof ein seltener Vogel wie der Wiedehopf nachgewiesen, dann dürfen Sie sagen: Dieser Apfelsaft stammt von einer Streuobstwiese mit Wiedehopf. Ein anderes Beispiel: Schweine kommen zur Mast in den Eichenhain und dort sitzt der Steinkauz. Damit kann man super werben, die Weidelandschaften in Südspanien vermarkten ihr Fleisch doch auch mit diesem Thema. Man geht zum Metzger und sagt: „Ich will den besten Schinken“ und er erzählt die Geschichte, warum dieser der Beste ist. Wir aber sehen stattdessen oft die modernste Technik als Verkaufsargument. Hier müssen wir umdenken! Es geht ums Produkt, nicht um den Digitalisierungsgrad.
Geben Sie mir fünf Tipps, wie ich die Artenvielfalt auf meinem Hof fördern kann.
Erstens: Das Mahd-Konzept auf Flächen, die Sie nicht landwirtschaftlich nutzen, überdenken. Wo müssen Sie überhaupt mähen? Wo mulchen Sie nur aus Langeweile? Zweitens: Einen Nistkasten auf einen Obstbaum hängen und selber aktiv Vögel beobachten. Drittens: Die Stärken Ihres Hofes rausarbeiten. Bio-Schweinebauern rate ich beispielsweise, in Richtung Dorf eine Windschutzhecke zu pflanzen. Allein, um die Emissionen positiv zu gestalten. Es ist doch viel schöner, wenn es stinkt und man sieht eine blühende Hecke, als wenn es stinkt und man sieht eine Halle. Es gibt keine drei bis fünf Pauschalmaßnahmen. Jeder Landwirt muss sich der Besonderheiten seines Hofes bewusst werden. Es geht auch um ganz einfache Maßnahmen wie mit dem Schlepper auf Wegen anstatt acht- los in der Wiese umzudrehen, herumliegende Plastikplanen und Silofolien zu entsorgen oder Spalierobst an die Wände zu pflanzen.
Sie haben Blühstreifen vergessen.
Ganz bewusst! In künstlich angelegten Blühstreifen sind nämlich großteils Pflanzen drin, die bei uns nicht heimisch sind. Aber: Hier sterben doch die heimischen Insekten und Pflanzen aus – da brauchen wir keine nordamerikanischen Pflanzen. Sie brauchen keine Samen für viel Geld kaufen, wenn doch unsere heimische Natur selbst so schöne Säume kann. Ich sage immer: Sinneswandel statt Samenhandel. In natürlichen Säumen wachsen Kerbel, Engelwurz, Schierling, Giersch… Ihr dürft einfach nicht alles niedermulchen und sagen: „Wir haben doch da hinten schon einen künstlichen Blühstreifen.“ Wir müssen heimische Natur zulassen und damit wirtschaften.
Eine artenreiche Wiese in Ostpolen. Unterweger: „So sah es auch bei uns aus, bevor die Intensivierung der Mahd alles Leben verhinderte.“
Was bringt es einem Landwirt, der selbstbestäubende Kulturen wie Weizen, Gerste und Mais anbaut, Bienen zu fördern? Insekten haben hier schließlich keinen Einfluss auf den Ertrag.
Die Bauern, die Bienen nicht interessieren, können gerne ihr Leben lang Haferschleim oder Weizenbrei essen. Sie werden aber nie mehr einen Apfel oder Marmelade bekommen. Die Vielfalt, die wir genießen, ist von Insekten abhängig. Nicht zu vergessen: Wir würden im Mist ersticken, wenn wir nicht Insekten hätten, die Kuhfladen und Schweinemist zersetzen.
Dr. Philipp Unterweger ist Biologe. Er berät seit 2010 Kommunen und Privatpersonen zur Förderung der Artenvielfalt. Seit 2018 ist er zudem als selbständiger Biodiversitätsberater für die Landwirtschaft tätig.
In: Ausgabe Mai 2021: Landwirt Bio